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Voyeur (2019)

An einem Samstag, gegen 09h, im Starbucks am Kreuzplatz bestelle ich und warte auf ein Zeichen des Barristos hin gleich an der Kasse auf den Kaffee. Da keine weiteren Gäste hinter mir sind, schaue ich interessiert den routinierten Handgriffen zu, welche mehrere Bestellungen parallel abwickeln.

Auf die freie Ablage neben der Kasse stellt er zwei leere Teller mit Messer und Gabel hin. Was kommt wohl hinzu? Vielleicht ein von der Folie befreites erstmals atmendes und im Umluftofen erwärmtes köstliches Sandwich? Oh nein, er legt schlicht eine Serviette auf beide Teller. Und dann zentriert je einen Laugengipfel. Und schwupps – schon werden die Teller weggetragen.

Leicht irritiert (fehlt da nicht noch was) folgen meine Augen dem Barristo zum grossen Tisch mit den Barhockern. Your welcome!

Da sitzen sie, die beiden Stammkunden. Expats aus dem Vereinigten Königreich. Sie legen Kreuzworträtsel
und Financial Times beiseite, prosten sich mit ihren zu grossen Teetassen still zu und ...

.... schneiden die Laugengipfel mit Messer und Gabel in kleine Häppchen und führen die mundgerechten Stückchen mit den Gabeln in den Mund!

Unverhohlen sehe ich zu und versuche zu verstehen...





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Achtsam (2009)

Seit Jahren koste ich mit dem Velo im Stadtverkehr das Anhalten bei Kreuzungen aus. Zügig heranfahren, Blick gerade aus und bewusst so abbremsen, dass ich mit Unterarm oder Handgelenk zentimeternah am Lichtsignal zum Halten komme. Dann lasse ich mich einfach einen Hauch aus dem Lot fallen und stütze mich möglichst aufrecht an der Säule auf und warte. Eine kindliche Freude packt mich, wenn es sich unscheinbar und sicher ergab. Bei Grün spanne ich mich kurz an, kippe zurück ins Lot und fahre weiter.

Das war's schon. Meine ganz persönliche und belanglose Freude im Stadtalltag. Wem soll ich dies erzählen, ohne belächelt zu werden? Es ist ja auch nicht ganz ungefährlich und hat auch keinen therapeutischen Nutzen.

Letzthin beim NZZ-Haus hatte alles fein zusammengepasst. Ich sah gerade aus und wartete auf das Grün. Da hörte ich eine anerkennende Stimme: "Elegant wie sie das gemacht haben!" Ich drehte mich überrascht um: Neben mir stand der alte Clown Dimitri und wartete auf das Fussgänger-Grün...





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Misstrauisch (2014)

Vom Bahnhof her kommend, ziehe ich auf einem schmal geteerten Weg um die Kirche.
Links zweigt eine naturbelassene Abkürzung durch die Büsche ab. Die Konturen von
Absatzrillen brechen die Oberfläche einer dünnen Lache. Gleich daneben liegt zufällig
verloren ein Handschuh mit felliger Krempe.

Ein Kind scheint unweit eine Katze aufgescheucht zu haben.
Sie rennt geradeaus auf mich zu und fühlt sich auf unserem Weg eingeengt.
In der Eile biegt sie nach rechts in die besagte Passage ab.

Und erstarrt vor dem sich nicht bewegenden, augen- und ohrenlosen Fell.
Krümmt ihren Rücken, zieht sich langsam einige Schritte zurück.
"Hej! Wer bist du? Schon tot? Ein verkappter Marder?..."

Bluffer!
Und zieht dann völlig desinteressiert und angstlos zügig am Handschuh vorbei.





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Gelassen (2014)

Weit nach Mitternacht sinniere ich aus meinem Fenster hinaus, hinein in die Stille.
Vor mir dösen parkierte Autos einer Wiese entlang. Eine Strassenlampe zeigt die Farben der Autos und
vergoldet einige der sonst skelettartigen schwarzen noch winterkahlen Äste der Baumallee. Eine Katze
ruht auf ihren angewinkelten Beinen unterhalb eines Auspuffs. In diesem Quartier schläft die Stadt bereits.

Siehe da, ohne Neugier zieht ein Fuchs den Autos entlang heimwärts. Verflixt! Noch drei Autos, noch
zwei... ich will mit einem lauten Pfiff warnen, zugleich mich auch abwenden, um mir das Zeter-Mordio
zu ersparen. Zu spät.

Die Katze bleibt seelenruhig liegen, sträubt sich nicht einmal.
Der Fuchs schaut kurz nach links, als hätte eine Regie ihm dies befohlen und zieht, ohne von seiner
Linie oder seinem Tempo abzukommen, gelassen geradeaus weiter.

Kannten sie sich oder sind sie sich heute bereits einmal begegnet?
Hatte eines irgendwelche tierische Promille intus?
War eines weitsichtig oder schnupfenbedingt irritiert?
Haben sie sich einander zugenickt, im Sinne von „Hej“ oder „Guet Nacht“?

Wieso stelle ich mir diese Fragen?
Ein Portugiese und ein Norweger passieren einander nachts auf einem Trottoir schliesslich auch
ohne Aufsehens.





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Marroni (2013)

Im Dunkel des Winterabends leuchtet das sanfthelle Licht des Marronistandes
wunderbar warm, idyllisch. Ich stosse gerade dazu, wie eine Frau Adieu sagt
und der Herr vor mir in der Schlange nachrückt. Gross gewachsen, gepflegt,
mit langem Mantel und Hut.

Sie wünschen?
Marroni, sagt der Herr mit einer markanten Stimme.
In dem Augenblick erkenne ich ihn. Direktor eines weltweit aktiven Konzerns.
Weit gereist, belesen, kulturaffin, attraktiv, um die 60, Charmeur.
Wir kennen uns.
Wieviel? fragt der Verkäufer.
Mein Bekannter zögert, fragt: Wieviel denn 100gr seien?
Der Verkäufer zeigt auf die kleinen der flach hängenden Tüten.
Mein Bekannter weiter: Wieviele Marronis denn dies ungefähr seien?
Ich runzle die Stirn und bin vor allem, ob seiner unsicheren Stimme erstaunt.
Der Verkäufer antwortet: eben, diese Tüte voll.
Mein Bekannter: Wieviel man denn so für den Glust üblicherweise bestelle?
Der Verkäufer: Mal 100gr, mal 200gr.
Mein Bekannter, weiter, fast schüchtern: Wieviel empfehlen sie mir zu nehmen?
Der Verkäufer sieht die Kundenschlange im Hintergrund wachsen.

Dann bestellt mein Bekannter, bedankt sich und dreht sich um.
Sieht mich, lacht. Hej, was machst du denn da?
Schön. Komm ich warte auf dich.
Dann. Sichtlich erfreut, hemmungslos...
Ich habe soeben zum 1. Mal in meinem Leben Marroni gekauft.
Ich schmunzle.

Ein Mann aus der grossen weiten Welt.





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Rhombenmuster (2012)

Da sitzen wir in einer noch fast gästelosen Pizzeria. Alles ist ordentlich mit rotweissen Servietten gedeckt,
die Weingläser stehen kopfüber.

In eine Ecke weilen eine elegante Dame um die 85 und ein höchst anständig gekleideter Herr um die 60 in einem Kurzarmpullover mit Rhombenmuster, einer artigen Brille und glänzenden Schuhen. Beamter in der Stadtverwaltung? Treuhänder? Ewig ledig, kaum neugierig, mutig, spontan oder sinnlich. Lebenslang abgesichert. Seine Haltung und sein Interesse wecken in mir das Bild des ewigen Sohns, der noch immer mit muss zum Nachtessen. Steht eine Erbschaft an oder hat er danach für Monate wieder seine Ruhe?

Zufällig sitze ich unweit seitlich von ihm. Dieser Blickwinkel provoziert in mir innert Sekundenbruchteilen dieses wertende Bild von ihm. Hmm… hie und da sehne ich mich nach der scheinbaren Zufriedenheit oder Sorgenlosigkeit, nach dem Konventionellen, Rituellen. Ahne aber auch, dass ich mich dann sogleich wieder nach meinem Leben sehnen würde.

Die Pizza wird serviert - ist einfach perfekt. Der Teig bricht mit dem Messer wie das Eis vor dem Eisbrecher, die Spitze hält sich selbst und doch spüren die Zähne einen feinen von der Tomatensauce getränkten süssen Biss. Meine Gedanken verschwinden mit jedem Bissen im Magen. Die Stimmen und Musik treten diffus in den Hintergrund zurück.

Bis auf diesen zurückhaltenden, phrasierten Gesang. Die Ballade, diese Stimme lenkt mich ab. Ich bitte den Kellner um eine „Dezibel-Zugabe“. Frage ihn, ob er irgendwie nachsehen könne, wer dieses Lied singt. Er verneint freundlich. Plötzlich stehe ich unter dem Lautsprecher, meine Augen versuchen die Stimme besser zu verstehen. Ich inhaliere die unheilvoll klingenden Akkorde, diese Wehmut.

Da spüre und sehe ich sie, diese Rhomben, den Pullover und den Mann, neben mir und höre seine warme Stimme, dieses Lied sei von Lana Del Rey, mit dem Titel Video Games. In den Händen hält er sein iPhone. Es gäbe eine Applikation, die Lieder identifizieren könne.

Ich stehe da, weniger überrascht von der Technik heute, als von der schönen Aufmerksamkeit und netten Geste. Ich danke herzlich und lachend. Sehe ihm nach wie er zu seiner Mutter und stillen Konversation zurückkehrt.





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Have a nice meal (2016)

Während meine Gedanken wie gedankenlos auf meiner wartenden Hand mit der Note für meinen
Kaffee ruhen, sehe ich zufällig im Hintergrund, wie der junge Barista zwei Servietten auf zwei
Dessertteller legt, zwei normale Laugengipfeli mit einer grossen Aluzange aus dem Umluftbackofen
nimmt, die auf die Teller legt und dazu noch mit zwei Messer und zwei Gabeln flankiert. Die kleine
Münze vom Retourgeld lege ich in das Trinkgeldkässeli und ziehe dem Tresen entlang zum bereits
wartenden Kaffee.

Hmmm... wofür hat er Messer&Gabel auf das Servier-Tablett gelegt? Ich frage den Barista unaufällig,
er lächelt, für das... auf den Tellern! Mein direkter Weg zum Sitzplatz draussen unter der Veranda
macht spontan einen Umweg zu den beiden Gästen.

Da stehe ich, keinen Meter von ihnen entfernt, einem Paar, beide noch kaum 50. Höre feines Englisch.
Versuche an etwas Anderem im Hintergrund interessiert zu erscheinen und erkenne mich selbst, wie
ich doch unverhohlen zusehe…

...wie man elegant, tatsächlich ein „normales“ Gipfeli mit Messer&Gabel kostet.

Dort, im Starbucks, am Kreuzplatz.





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Ur... (2016)

Seit Jahrzehnten lege ich das Münz anstatt ins Portemonnaie einfach in den Hosensack. Abends dann weiter in eine Büchse und zweidreimal im Jahr geht’s zur Bank.

Wie soeben. Keine Ahnung was mich so spät in der Nacht und dazu noch bei diesem garstigen Wetter bewog aufs Velo zu steigen. Staune immer wieder ob dem stattlichen Gewicht dieses Häuflein Kupfernickel welches ganz unten im Rucksack auf meine Lenden- wirbel drückt.

Seit dem Umbau ist mir die Bankhalle beim Kunsthaus sympatischer. Das Velo kann nun auch mit rein und neben dem Münzautomaten zieht sich eine lange Heizung dem Fenster entlang. Erkenne, dass ich fast immer
bei schlechtem Wetter mein Münz wechsle.

Da sitze ich für kurze Zeit auf dieser Heizung, wärme mich genüsslich. Wiege das Münz in meinen Händen und schätze den Betrag der bald aufleuchten wird. So wie ich bei der Käserei jeweils das Gewicht zu raten versuche.

Dann schütte ich das Geld in den Trichter, höre dem Münzwolf zu. Hie und da fällt nicht konformes Münz mit einem andern Ton in das Alufach. Die Sortiermechanik wird immer leiser. Da stehe ich nun vor der Anzeige welche mich auffordert, das nichtkonforme Kleingeld zu entnehmen und den Betrag anzeigen zu lassen.

Bücke mich. Meine Finger finden diesmal nur gerade zwei Münzen welche nicht saldiert werden wollten. Da liegen sie in meiner Hand. Die 20Rp zufällig obenauf. Wirken gealtert, ohne Glanz, doch der Blumenkranz ist noch gut erhaben.

Drehe eine um, die Haarpracht der Libertas ist abgewetzt, staune ... 1901!
Wurde da nicht zum ersten Mal der Nobelpreis vergeben?

In welchen Portemonnaies, Münzrollen, Automaten oder Sparschweinen lag diese 114jährige Münze schon
und wofür diente sie?

Abgesehen von Geschichtsbüchern, Museen... wann begegne ich heutzutage nochdieser Zeit?
Nun liegt sie so überraschend und einfach in meinen Händen.
Meine vagen Gedanken ins frühe letzte Jahrhundert wühlen mich auf.

Drehe die andere Münze…

1883






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So oder so (2012)

Nahe beim Bahnhof Zürich koste ich hie und da beim Thailänder die so authentischen und frischen Curries. Für mich die Besten östlich von Bangkok. Dazu noch in einem schlichten doch atmosphärischen Raum. Bereits auf dem Hinweg in der Früh sehe ich sie eifrig beim Gemüserüsten. Fleisch wie Fisch sind bio/msc zertifiziert. Trotz emsigen Treiben sind alle immer fröhlich und sehr aufmerksam.

Keine Ahnung, wieviele Gäste es bemerken. Jedes Mal wenn jemand den Betrag aufrundet, ruft die Kassierin laut und fröhlichschrill: Trinkgeld! Und dann hallt aus allen Ecken und der Küche ein ebenso lautes, fast synchrones “Danke”. Dabei liegt das lange A tiefer als das D, auf dem N zögern sie und hängen ein G in den Gaumen und auf dem hohen E erklingt dann eine lange und lustige Betonung.

Im Kommen und Gehen, beim Schlemmen oder Lesen/Telefonieren während dem Essen geht dies wohl viel unter. Doch ist man sich dessen einmal bewusst, schmunzelt man einfach. Minütlich.

Da stehe ich nun bei der Kasse. Zufällig steht der Geschäftsführer da.
Wir kennen uns über all die Jahre. War’s gut? Und wie!

Plötzlich liegt die Idee auf meiner Zunge. Könnten sie für einmal „kein Trinkgeld“ rufen?
Er lacht, nickt, schaut herum, sammelt sich und ruft mit lauter und klarer Stimme:
Kein Trinkgeld!

Dennoch, im Chor…
ke
D
ng
aa





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Winnetou (1965)

Damals, vor über 50 Jahren, stand ich nach dem Mittagessen hie und da vor der Drogerie in Kempten
und fragte eintretende Frauen unverhohlen, ob sie Winnetou-Punkte sammeln würden.
„Ja“, dann nickte ich und liess sie ziehen.

„Nein“, dann zeigte ich ihnen meine drei Bände, blätterte sie durch und wies auf die gerahmten und
noch blanken Aussparungen für die Fotos hin: „Diese Fotos aus den Winnetou-Filmen fehlen mir noch.
Für einen Einkauf ab Fr. 5.- dürfe man sich ein Bild aussuchen.“

Und:
„Darf ich mich an der Kasse Ihnen einfach also Sohn oder Gottenkind anschliessen?“ fragte ich.
So begleitete ich immer wieder, verschiedene Mütter und Gotten zur Kasse und füllte im Nu
meine drei Winnetou-Bildbände.





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Punktlandung (2011)

Eine Kundin legt vor mir einige teurere Artikel aufs Fliessband. Auf die Frage der Kassierin nach einer Supercard, schüttelt sie abweisend den Kopf. Selbst überrascht, strecke ich der Kassierin meine Karte
hin und frage, ob sie die Punkte meiner Cousine auf meine Karte übertragen würde? Sie nimmt meine
Karte und den 10fach-Gutschein ohne Regung an. Lachend bedanke ich mich bei beiden. Meine so-
eben erkürte Cousine schaut mich verdutzt an.

Beim Einpacken kommen wir ins Gespräch. Sie habe Tage zuvor eine solche Karte bekommen - wisse
jedoch kaum wie alles funktioniere. Ich erkläre ihr, wie sie am Card-Automaten den Punkte-Stand und
anderes nachsehen könne. Spüre sofort, dass Touch-Screens und IT nicht ihre Welt sind. Und bot ihr
an, die ergatterten Punkte zu teilen und ihr gutzuschreiben. Doch wie? Sie reise heute Abend noch ab.
Man könne sich ja nach ihrer Ferienrückkehr am gleichen Ort zur gleichen Zeit sehen?

Mehr als einen Monat später sehen wir uns tatsächlich bei der Kasse. Sie ist scheu oder unsicher, gleich unmodisch gekleidet und frisiert wie das erste Mal. Doch freudig überrascht, dass ich wirklich gekommen
bin. Geduldig zeige ich ihr, wie man diese Punkte überträgt und weitere Optionen. Zum Abschied gebe ich
ihr die Hand. Gerne würde sie mich zu einem Kaffee einladen!

Da sitzen wir irgendwie befangen und erkennen, dass wir es bei diesem Punkte-Austausch hätten belassen sollen. Welchen Beruf ich ausübe? Ich bleibe unverbindlich „im Dienstleistungssektor“ und sie?
„Was meinen sie?“ fragt sie mich überraschend neckisch.

Ich mustere sie und frage lachend, ob sie mir ihre Hände zeigen würde. Tramführerin… denke ich.
Eine Scheu in mir lässt nicht zu, ihr das direkt zu sagen. So erfinde ich eine schmeichelnde Reihenfolge.

„Nun, ich könnte mir vorstellen, dass sie entweder Psychotherapeutin, Tramführerin oder Buchhändlerin sind.“

Da sitzt sie nun, starrt mich wort- und regungslos an, als wäre sie eine Pelati-Dose im Regal.

Dann: „Ich bin Psychologin in einer Gemeinschaftspraxis.“
Seit längerem spüre sie eine Unzufriedenheit über das unpersönliche Arbeitsumfeld und habe sich einen Quereinstieg überlegt.

Eine Woche vor ihren Ferien, habe sie sich als Tram-Chauffeuse bei der VBZ beworben!

PS: Wir sind uns seither weder in einer Praxis noch im ÖV begegnet.
Doch hie und da sicher in Gedanken.





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Schuhspitzen (2011)

Ausgerechnet bei einem dieser seltenen und wie immer leicht widerwilligen Besuche eines Möbelriesen begegnete ich dieser „Fauteuil-Aktion“. Ich war als Begleiter mitgegangen, bedingte mir aus, punkt neun Uhr, als erster Kunde einzutreten, um bald wieder flüchten zu können. Doch vorfreute ich mich auf die süssen nordischen Trockengebäcke, die mir, wie einem Hund für seinen Gehorsam, nach der Kasse winken würden.

So schlenderte ich mit durch diese endlosen, noch fast menschenleeren Ausstellungsräume. Genoss die vielen Farben, Formen und liess überrascht aufkommende Wünsche flüchtig in mir zu. Vielleicht auch im sichereren Bewusstsein, meine kleine Mansarde eher entschlacken als weiter schmücken zu wollen.

Dann stand ich vor diesem kubischen und doch filigranen schwarzen Fauteuil. Sah ihn wunderbar passend in meinem Zimmer, neben der Leselampe, meine Beine leicht hoch gelagert, mit Tee und Buch in der Hand... Wie kommt ein kubischer Fauteuil vom Möbelgeschäft in mein Dachstockzimmer? Sicher könnte ich ihn für einen moderaten Aufpreis komfortabel nach Hause liefern lassen. Doch wollte ich meinen Fauteuil am selben Abend geniessen.

So sah ich mich diesen Koloss, verkehrt mit der Sitzfläche auf meinen Schultern, zur Busstation, dann zur Zugstation und schliesslich noch in mein Zimmer hoch schleppen. Gedacht, getan. Leider fehlte im Lager der Fussrahmen (ähnlich einem Velo ohne Pneu). Sie entschuldigten sich dafür und würden ihn in einer Woche kostenlos nach Hause liefern. „Ist gut so, ich nehme ihn jetzt mit und komme nächste Woche wegen dem Fussrahmen nochmals vorbei.“ (Und natürlich auch wegen den so wunderbaren Guetzli).

Also war ich unversehens über zwei Wochenenden in diesen für mich so unsäglichen Einkaufsrummel eingebunden. Verflixt...

Bei der Warenausgabe schüttelten sie leicht den Kopf. Einerseits den Fauteuil auszupacken und andererseits ihn auf meine Schultern zu hieven. Als kleine Aufmerksamkeit für den fehlenden Fusssockel bekam ich einen Gutschein für ein „Schweinsschnitzel, Pommes mit Getränk“. Als Vegetarier wollte ich den Gutschein zuerst refüsieren, steckte ihn dann aber einfach ein.

So zottelte ich mit gebeugten Schultern, Hände kopfüber und einem sehr reduzierten Blickfeld, einzig geführt durch die Stimme meiner Begleiterin, die dreihundert Meter zur Busstation. Und – trampelte beinahe ein Kind fahrlässig nieder. Dies die Worte der sehr erbosten Mutter. Ich sah nur ihre Füsse, den Rock und die Hände, die ihrem Kind vom Boden hoch halfen. Wäre ich diesen Weg normal gegangen, hätte sicher ihr Kind den Rüffel bekommen, beim Rumrennen nicht in Passanten zu stossen. Ich konnte mich weder richtig entschuldigen noch – ich gestehe – wollte ich mich bei dieser derart überreizten Tonalität wirklich entschuldigen und ging bedächtig weiter.

„Noch 50 Meter und dann sind wir bei der Busstation und du kannst ausschnaufen.“ Dort erkannte ich, dass mir die guten Geister der Warenausgabe vom Aufladen hier beim Abladen fehlten. Meine Begleiterin konnte mir gesundheitsbedingt nicht helfen und der Fauteuil würde über die Achsel gedreht, einfach zu schwer runterplumpsen. Da stand ich, überlegte, dachte, den Fauteuil über die gläserne Seitenwand der Busstation kratzfrei runterrutschen lassen zu können.

Vier Turnschuhe tauchten in meinem Blickfeld auf und fragten: „Wotsch i hälfe?“ (Oder: Darf ich helfen?).
Ich nickte stumm mit den beladenen Schultern, sah die Turnschuhe auseinandergehen, spürte eine gediegene Erleichterung, schloss die Augen und atmete tief durch. Da standen sie mit ihren akkuraten 5-Tage-Bärten und gestylten Kurzhaarfrisuren. Zwei Jungs aus dem Balkan, lachten und staunten in einem. Ich dankte herzlich.

Der Bus nahte bereits. Ich ergriff im Hosensack den Gutschein und einen Fünfliber und streckte ihnen dies eilends und dankend zu. Sekunden später hatte ich beides wieder bei mir. Mit der lakonischen Erklärung: „Wir essen kein Schweinefleisch!“

Da stand ich, lachte über Logig, Komik und Ernsthafigkeit. Sie halfen mir noch in den Bus. Ich winkte. Ade.


PS: Eine Woche später holte ich den Fussrahmen ab. Zufällig mit einem Mobility-Auto. Beim Warenlager erhielt ich einen Fauteuil mit integriertem Fussrahmen. Ich erklärte, dass ich nur den Fussrahmen bekäme. Sie schauten nach und meinten, es sei ein kompletter Fauteuil ausstehend. Ich versuchte zu erklären, blieb beim Sachverhalt hängen, insistierte noch einmal, erfolglos! Und begann zu schmunzeln. Lud unverhohlen den zweiten Fauteuil ein und bestellte später telefonisch explizit nur noch einen Fusssockelrahmen. Wie nennt sich diese Verkaufsförderung... 2 für 1?





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Zeitgeist (2015)

Der Regen fällt wortwörtlich wie ein schwerer Vorhang steif und dicht vom Himmel runter. Erstaunlich: Hier in unseren Breitengraden. Es ist eng geworden im Tram und so getraue ich mich kaum, mit meinem Velo einzusteigen. Eigentlich schon aus Prinzip nicht (ich bin ja ewig witterungsbeständig und rostfrei). Hinter der Plakatwand lugt eine jüngere, stadttrendige Mutter hervor und fragt mich spontan und freundlich, ob sie den Kinderwagen noch weiter vorziehen solle? Danke. Da stehe ich und versuche, mit dem Blick zu den Füssen, besseren Halt im schlenkernden Tram zu bekommen.

Über die Kante des Kinderwagen-Regendachs sehe ich einen kleinen Zeigefinger, sich in der Luft scheinbar zu verirren. Staunend erkenne ich dann, dass dieser auf einem IPhone, welches die Mutter gebückt hält, bewusst Bilder von links nach rechts zieht. Nach jedem Bild verharrt der Finger in der Luft und es scheint, als würden er sich erinnern, Fragen stellen, staunen oder gar schon Wünsche generieren.

Ich sehe weder das Kind noch die Bilder. Nur diese zarten Finger.
Und unversehens... die Finger blättern gar ein Bild von rechts nach links zurück, verharren kurz und blättern erneut zielstrebig nach vorne.

Irritiert lehne ich vor die Plakatwand und frage die Mutter nach dem Alter des Kindes.
„Zwei Jahre und drei Monate“ erwidert sie stolz.

Ich schüttle den Kopf, unsichtbar in mir.
Meine Grossmuter erzählte mir von der Waschmaschine... ich erlebte den Schwarzweissfernseher mit Sendeschluss um Mitternacht... mein Sohn war bereits virtuos beim Flanken in in den leeren Raum auf dem Joystick der Playstation...

Zu gerne würde ich heute in dieses Kinderzimmer einen Blick werfen und diesem Kind in einigen wenigen Jahren erneut begegnen. Und dann, dem Kind dieses Kindes. Womit wird sich dieses Kind beschäftigen oder was alles in etwa fünfundvierzig Jahren beherrschen? Oder ist es dann wortwörtlich (schon) zwei Jahre alt?

Irritiert hat mich vor allem eins, die unverhohlene Freude und der Stolz der Mutter.

Ist alles wirklich so unaufhaltsam?
Waren wir vernünftiger auf Kurs?
Oder ebenso masslos, einfach im Rahmen der damaligen Zeit?
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